Ei Guude, wie?
Das Urteil löst bei mir "Unbehagen" aus. Ich habe mal einen längeren Text formuliert - also holt Euch schon mal Chips und was zu trinken:
Es ist selbstverständlich, dass man sich bei der Ausübung unseres Hobbys in geeignete Schutzkleidung gewandet und den Vorschriften der STVO entsprechend verhält - immer schön vorsichtig, passiv und vorausschauend fährt - das machen wir doch alle, oder? Also bitte jetzt keine "Gutmenschen-Diskussion" über verantwortliches Fahren in geeigneter Schutzkleidung und die Verpflichtung für die Allgemeinheit und die Verantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft der Beitragszahler... Darum geht es mir nicht!
Zur Sache: Es kommt also vor, dass Unfälle passieren - keiner will es, sie passieren trotzdem. Die "Schuldfrage" will ich in diesem Zusammenhang auch nicht diskutieren. Es geht mir viel mehr um die Haftung bei eingetretenen Schadensfällen. Gegen diese Haftung bei Schadensfällen muss man sich versichern - da hat man keine Wahl, was ich auch gut finde. Lediglich die Versicherungsgesellschaft kann man wählen - auch das finde ich gut. Nun ist man also plichtgemäß versichert und verursacht einen Schaden. Der Gegner ist schuldlos. Ich habe nicht aufgepasst - nicht absichtlich, klar. Es ist einfach passiert, wie Unfälle halt oft passieren. Und nun findet meine Versicherungsgesellschaft, die eigentlich den Schaden regulieren müsste, doch tatsächlich das berühmte "Haar in der Suppe" und verweigert dem Geschädigten das ihm vom Gesetzgeber grundsätzlich zugestandene Schmerzensgeld zumindest teilweise mit dem Hinweis auf die nicht ausreichende Schutzkleidung, weil der Geschädigte nur eine "normale Hose" und keine Schutzhose beim Unfall getragen hat und damit dazu beigetragen hat, die Unfallfolgen nicht so gering wie möglich zu halten... Hallo??!! Meine Versicherungsprämie wird natürlich trotzdem saftig erhöht - ist klar - man musste ja regulieren. Allerdings nicht so viel, wie dem schuldlosen Gegner eigentlich zugestanden hätte - es wurde etwas gespart! Wer bekommt das "Gesparte"? Wird meine Prämie nicht ganz so derb angehoben? Nöö, da gibt es Regelsätze! Also wer bekommt den Benefit, den der Anwalt erstritten hat? Die Versicherung! Klar, wer sonst? Warum hat denn der Unfallverursacher nicht dazu beigetragen, dass der Unfall erst gar nicht entsteht? Das hat er nämlich nicht - sonst wäre der Unfall mit seinen fatalen Folgen für den Geschädigten ja nicht entstanden und folglich hätte seine Versicherung auch keine Leistungspflicht und die Situation wäre nicht eingetreten... Sie muss aber leisten! Das ist unstrittig! Der Verursacher ist verantwortlich für den Unfall. Unabhängig davon, ob der Geschädigte wie Robocop oder ein Buschmann mit Schüssel auf dem Kopf gekleidet war. Ich denke im aktuellen Falle ging es aber gar nicht mal um die Schmerzensgeldforderung an sich, sondern nur um die Höhe - das unterstelle ich einfach. Alles andere ist wenig wahrscheinlich. Aber genau da liegt der berühmte "Hase im Pfeffer". Dieses Urteil wirft nämlich Fragen auf:
1. Hängt die Höhe der grundsätzlich berechtigten Schmerzensgeldforderung von der Qualität der getragenen Schutzkleidung ab, oder hat 2. der Geschädigte grundsätzlich keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, nur weil er nicht die bestmögliche Schutzkleidung getragen hat? 3. Ist Schutzkleidung schon eine leichte Lederhose oder muss es eine mit Protektoren sein? 4. Genügt eine Textilschutzhose mit herausnehmbaren Protektoren auch? 5. Wer prüft, ob die Protektoren eingesetzt waren und wirksam gewesen wären, wenn sie getragen worden wären? 6. Hat die Schutzkleidung auch gepasst, so dass die Protektoren nicht verrutschen und ihre Schutzwirkung so "verpuffen" konnte? 7. Wer garantiert denn, dass man auf den Protektoren gelandet, die erst abgeschliffen und erst dann die Haut verletzt worden wäre? 8. Hätte eine "Schutzhose" die 30 m schleifen auf Asphalt ausgehalten? 9. Entspricht nur geprüfte "Schutzkleidung bestimmter Marken" den Anforderungen, die Versicherungen künftig stellen werden? 10. Gibt es Normen, denen Schutzkleidung genügen muss, um als Schutzkleidung im Sinne der Versicherungen akzeptiert zu werden? 11. Spielt gar die Farbe der Schutzkleidung eine Rolle (ich denke an die vielen Motorradfahrer, die - wie ich - ein fröhliches schwarz-anthrazit-dunkelgrau den Papageienfarben vorziehen)? Fragen über Fragen... Das Alles gibt es aber derzeit nicht - es ist einfach nicht geregelt! Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich das Tragen eines Schutzhelmes - welcher Beschaffenheit ist ebenfalls nicht geregelt... Eine Plastikschüssel würde theoretisch reichen... So etwas würden wir natürlich niemals tragen - ist klar!
Und obwohl es keine Vorschrift gibt, die der Geschädigte verletzt hat, weigert sich die Versicherung einen Teil des unstrittig zustehenden Schadenersatzes, nämlich besagte Schmerzensgeldforderung, zu begleichen. Das ist bemerkenswert.
Fazit: Für mich wurde mit diesem Urteil - wieder mal - ein "Schlupfloch" für Versicherungen aufgetan, um sich aus der Leistungspflicht stehlen zu können... Schmerzensgeld ist seiner Höhe nach ohnehin immer eine "Verhandlungssache"... Was "angemessen" ist, wird üblicherweise zwischen den Parteien ausgehandelt - ist keine Einigung möglich, entscheidet der Richter nach eigenem Ermessen. Jetzt hat er ein Teil seines Ermessens eingebüsst - muss er doch die Frage klären, ob die Folgen des Unfalles für den Geschädigten auch dann so eingetreten wären wie sie eingetreten sind, wenn der Geschädiget nicht vorgeschriebene, nicht genormte, nicht freigegebene Schutzkleidung (was auch immer das für einen Richter bedeuten mag) getragen hätte. Und nach diesem Urteil (wenn es denn unangefochten bleibt) wird es Schmerzensgeld für Motorradfahrer nur noch dann geben, wenn sie nachweisen können, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalles Schutzkleidung getragen haben (was auch immer man darunter verstehen will) - und zwar am ganzen Körper (Helm, Jacke, Handschuhe, Hose und Stiefel). Und selbst dann wird es irgendein Winkeladvokat früher oder später schaffen, glaubhaft vorzutragen, dass bei Verwendung noch hochwertigerer und neuerer Schutzkleidung die Unfallfolgen hätten deutlich reduziert werden können...
Nun mag man aus "volkswirtschaftlicher Sichtweise" vielleicht einwenden: Letztlich zahlt die Zeche doch ohnehin die Gemeinschaft der Versicherten - und das sind wieder wir! Nur dass von den aufgrund irgendwelcher Spitzfindigkeiten "eingesparten Leistungen" nicht die besagte Versichertengemeinschaft "profitiert" sondern andere - siehe oben!
Veräppelt wir wieder einmal der Schwächste in der Kette: der Geschädigte! Als wenn einer gerne Schmerzen über Jahre hätte, --zig Operationen und Transplantationen gerne über sich ergehen liesse und nicht schon genug durch den fremdverschuldeten Unfall und seine Folgen am eigenen Leibe "bestraft" wäre... Das macht der böse Geschädigte nämlich nur, um der gegnerischen Versicherung eine saftige Schmerzensgeldforderung präsentieren zu können.
Was ist denn das für ein "Gedankengut", das einem Geschädigten die ohnehin schon knapp genug bemessene "Entschädigung" ganz oder teilweise versagen will, nur weil es der Geschädigte (vielleicht ausnahmsweise) versäumt hat, "angemessene" Schutzkleidung zu tragen, die nicht einmal vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist? Wer definiert denn, was angemessen ist? Die leistungspflichtige Versicherung? Das will ich mal nicht hoffen... Hängt "angemessen" auch von der üblichen, praktizierten Fahrweise oder der technisch möglichen Höchstgeschwindigkeit ab? Was "angemessene" Schutzkleidung ist, ist nämlich ebenfalls noch nicht definiert.
Ich kann dieses Verhalten der Versicherungen nicht mehr ertragen. Verträge abschließen und Prämien kassieren wollen sie alle - aber im Schadensfall leisten, nicht: ob das Auto mal ausnahmsweise nicht in der Garage stand oder ausnahmsweise mal 500 km mehr im Jahr gefahren wurden als vorher geschätzt oder ausnahmsweise ein Fahrer das Fahrzeug gefahren hat, der jünger als 25 Jahre alt war... Alles Gründe, sich als Versicherung der Leistungspflicht ganz oder teilweise zu entziehen. Jetzt ist noch ein weiterer Grund dazu gekommen.
Ich fahre seit über 35 Jahren Motorrad. Die Versicherung meiner Kreidler hat, als ich 16 Jahre alt war, etwa 600,- DM / jährlich gekostet (Haftpflicht und Teilkasko). Heute versichere ich meine FJR RP13 auch Haftpflicht und Teilkasko für knapp 350,- € (das waren mal um die 700,- DM) /jährlich bei 30 % nach inzwischen mehr als 35 unfallfreien Jahren... Ich kann also mit dem Brustton der Überzeugung sagen, dass ich zu den "Gebern" und nicht zu den "Nehmern" bei der Motorradversicherung gehöre...Und trotzdem stört mich dieses Urteil! Wo wird das denn enden? Wann kommt die erste Forderung einer Versicherung, dass Schulkinder nur noch mit Rüstungen, Helm und blinkenden Warnsymbolen auf den genormten, ergonischen Sicherheitsschulranzen angetan das Elternhaus, den Schulhof oder den Spiel- bzw. Sportplatz verlassen dürfen? Ähnliches gilt auch für Erwachsene - nur ohne Schulranzen.
Viele Grüße aus Karben KarbenFJR (Bernd)
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