bin ich endlich wieder da...... ich wollte mich schon viel früher bei Euch melden, aber bis auf gelegentlich kurze Einträge bei Facebook habe ichs nicht geschafft, mich mal an einen längeren Bericht über das zu setzen, was in den letzten drei Monaten los war...... Das will ich jetzt nachholen. Über das Ausmaß der Katastrophe muss ich Euch nichts erklären, das seht Ihr alle weiter täglich in Euren Zeitungen und im Fernsehen, auch wenn das, was mancher Kollege dort verbreitet hat, bisweilen reichlich überzogen war.
Für mich selbst begann die Katastrophe auf dem Weg nach Tokio von Yokohama, ich war gerade auf der Straße, als die Erde zu beben begann. Heftig und lang. Sofort fielen sämtliche Mobilfunknetze und der Strom aus. Mit Glück erwischte ich ein Taxi, mit dem ich so schnell wie möglich ins Büro nach Tokio wollte, normalerweise eine Fahrt von einer Stunde. Nach sechs Stunden kam ich endlich an. Während der Zeit berichtete ich auf Basis der Nachrichten im Autoradio für Eure Rundfunksender und Zeitungen aus dem Taxi, immer dann, wenn für kurze Momente die Funkverbindung wieder stand.
Kurz nach Beginn der Katastrophe entschied ich mich dann, mit meinem aus Berlin angereisten Fotografenkollegen, mit meiner FJR in die Unglücksgebiete zu fahren, um direkt von vor Ort zu berichten. Es sollte die härteste Motorradtour meines Lebens werden. Wir starteten nachts am Flughafen Narita, zu dem ich allein vier Stunden brauchte, da die Autobahnen gesperrt waren. Auch alle Autobahnen ins Katastrophengebiet waren für Rettungsfahrzeuge und das Militär gesperrt. So mussten wir über die Landstraßen fahren. Die größte Angst neben der radioaktiven Verstrahlung war das Benzin. Die meisten Tankstellen waren wegen Panikkäufen leer, an den wenigen offenen Zapfsäulen stauten sich Hunderte von Autos, bis auch dort der letzte Tropfen verkauft war. Was, wenn uns der Sprit ausgeht und im AKW Fukushima, an dem wir bis auf 40 Kilometer Nähe entlangfuhren, der Super-GAU passiert? Nach sage und schreibe 27 Stunden ununterbrochener Fahrt kamen wir in der Nacht endlich in der zerstörten Stadt Sendai an. 27 Stunden ohne Schlaf, mit kaum etwas zum Essen und Trinken und der ständigen Sorge, liegenzubleiben. Während der Fahrt vorbei an immer mehr zerstörten Häusern und Straßen berichtete ich über mein nagelneues Headset am Helm und meinem über bluetooth mit dem headset und meinem Garmin verbundenem iPhone während der Fahrt weiter in die Nachrichtenzentrale nach Berlin, wann immer die Verbindung stand. Wir hatten auf meiner FJR ein W-Lan-Netzwerk installiert, das es uns ermöglichte, während der Fahrt unsere Berichte und Bilder abzusetzen. In Sendai völlig erschöpft und hungrig angekommen, dann die Hiobsnachricht: In Fukushima explodieren die Reaktorgebäude. Sofort der Befehl meiner Chefs: unverzüglich weiter, nach Norden, weg von der radioaktiven Wolke. Zehn Minuten später hatten wir die FJR wieder aufgerödelt. Meiner Familie wurden zeitgleich Flugtickets organisiert, damit sie das Land verlassen, wenigstens eine Sorge weniger. In der Nacht ging es weiter, nach Tomeshi, wo auch das THW und andere ausländische Rettungsteams ihr Lager bezogen hatten. Gegen drei Uhr morgens kamen wir an. Tomei glich einer Geisterstadt, es war stockfinster, durch die Straßen flackerten gelegentlich Scheinwerferkegel von Leuten mit Taschenlampen, die Straßen waren durch das Beben teils aufgerissen, so dass ich einmal aufsetzte und den unteren Teil meines Auspuffs arg zerdellte. Wir fanden schließlich ein Flüchtlingslager, in dem man uns erlaubte, unseren Schlafsack auszurollen und sogar ein wenig von den Notrationen zu Essen bekamen. Ich war noch nie so glücklich und dankbar über eine Schale Gemüsesuppe und einen heißen Tee. Am nächsten Tag führte ich Interviews mit Überlebenden, und setzte zusammen mit Bildern meines Kollegen die Berichte über Satellitenschüssel nach Berlin ab. Später schlossen wir uns dem THW an. Die sollten eigentlich nach Überlebenden in den nahen Überschwemmungsgebieten suchen, doch es gab keine Überlebenden mehr. Zugleich wurde die Lage in Fukushima immer schlimmer. Bei der nächsten Explosion in den Reaktoren erneut der Befehl aus Berlin, zu fliehen,und zwar so schnell und weit wie möglich. Mein Kollege beschloss, mit dem THW-Bus nach Deutschland zurückzukehren. Fortan war ich allein auf meiner FJR. Es regnete in Strömen. Da alles schnell ging, hatte ich keinen Regenanzug an. 16 Stunden fuhr ich, die Temperatur sank in der Nacht auf minus drei Grad, auf der nur von wenigen Militärfahrzeugen benutzten Autobahn, für die ich inzwischen mir eine Sondererlaubnis der Polizei besorgt hatte, bildete sich eine dicke Schneeschicht. Ich war vollkommen durchnässt, fror wie ein Schneider, brauchte aber wenigstens keine Angst mehr ums Benzin haben, da die Autobahntankstellen für die Rettungskräfte und damit auch für mich voll und durchgängig geöffnet waren. Sorge bereiteten eher die Militärlaster, die kein Motorrad in der Nacht auf der verschneiten Autobahn vermuteten und mich mehrmals fast über den Haufen fuhren. An einem Bergpass Richtung Akita musste ich schließlich umkehren, die Straße war zu glatt und zu steil. Ich endete in einem kleinen Ortshotel, das mir meine japanische Freundin, der ich unendlich dankbar bin, organisiert hatte, und die mich über mein headset in der Nacht pausenlos am Telefon in die richtige Richtung, weg von dem Atomkraftwerk, lotste. Nach einer Stunde Schlaf erstmals seit Tagen wieder in einem richtigen Bett, ließ ich meine FJR zurück, nahm das Taxi nach Akita und von dort ein Flugzeug ins sichere Hiroshima......
Erst vor wenigen Tagen, nach über zwei Monaten also, konnten wir endlich meine geliebte Maschine zurückholen. Gott, ich hätte weinen können vor Freude. Die Batterie sprang nach dem zweiten Startversuch sofort an. Bis auf - höchstwahrscheinlich verstrahltem - Dreck vom Regen und Schnee war die Maschine tiptop. Halt eine FJR! Das einzige Problem: Ich hatte in der Eile und aus Erschöpfung meinen Helm samt klitschnassen Handschuhen in meinem Seitenkoffer verstaut. Könnt Ihr Euch vorstellen, was mich erwartete, als ich den nach über zwei Monaten wieder hervorholte? .......
Soweit eine kurze zusammenfassende Schilderung meines FJR-Katastropheneinsatzes.
Doch die Katastrophe selbst ist noch lange nicht vorbei, auch wenn andere Themen bei Euch inzwischen im Vordergrund stehen. Die Strahlengefahr ist nicht gebannt, im Gegenteil, an immer mehr Orten, auch weit von Fukushima entfernt, werden erhöhte Strahlen gemessen. Aber das Leben geht weiter. Muss weiter gehen. Meine Kinder sind inzwischen wieder in der Schule und ich normal am Arbeiten. Vergangene Woche war ich wieder im Katastrophengebiet in einem Evakuierungsort und reise nächste Woche erneut dorthin. Noch immer leben über 90 000 Menschen in den Notlagern, für diese Menschen ist es am Schlimmsten. Und doch bewahren sie selbst in der größten Not ihren Anstand und einen unglaublichen Durchhaltewillen, von Panik ist nachwievor keine Spur. Dieser Zusammenhalt der Menschen hier ist die eigentliche Stärke dieses Landes. Deswegen bin ich auch fest davon überzeugt, dass Japan am Ende auch diese Krise überwinden wird.
In diesem Sinne grüßt Euch herzlich,
Euer Nico
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